en-S1EP4 - Ist das Führung oder kann das weg? Jeder Tag ist ein Kampf gegen alle - muss das wirklich so sein?
Heute fange ich mit einer Geschichte aus meiner jüngeren Vergangenheit an, die zwar nicht mir aber einem engen Freund passiert ist - wegen Anonymität und Geschlechterneutralität nennen wir die betroffene Person Robin, wegen einfacherem Lesen werde ich sie mit "ihr" referenzieren.
Robin ist in einem Mittelständischen Unternehmen eine der gehobenen Führungskräfte, also direkt unter der Geschäftsführung angesiedelt. Sie führt ein Team mit ca. 60 Mitarbeitern und einer Zwischenebene mit 5 Führungskräften die sie als direct reports eingesetzt hat.
Das Unternehmen läuft - in klassischen wirtschaftlichen Kennzahlen gemessen - gut, aber die Stimmung im Unternehmen ist spätestens nach der COVID-Krise und dem Fallout, der dadurch entstand, eher durchschnittlich bis mittelschlecht.
Soweit das Setting, Robin ist eine sehr selbstkritische und reflektierte Person und auch Führungskraft, die Anstrengungen und vor allem die Erschwernisse der letzten beiden Jahre haben aber auch bei ihr Spuren hinterlassen - von Leichtigkeit im Job keine Spur mehr. Das spiegelt sich auch erstens in ihrem Führungsverhalten wider, und weiterführend dann in den Zahlen, die ihr Bereich abliefert.
Ihr Führungsstil veränderte sich von einer eher losen, motivierenden, offenen Kultur dahin, dass sie nun ihre direct reports an "der kurzen Leine" führte - und das führte sukzessive zu folgenden Spannungen und zusätzlichen Herausforderungen:
- Sowohl die Führungskräfte als auch das Personal, das diesen unterstellt war, gingen von einem offenen, leistungs- und lösungsorientierten zu einem verschlossenen und oftmals auch unangenehmen Klima über
- Die Gesamtperformance der Abteilung ging in einen Tiefflug - neben der Stimmung, die am Boden war, gingen auch die KPIs auf Tauchstation
- Robin brauchte plötzlich viel mehr Zeit für Führung, diese fehlte ihr natürlich bei ihrem daily Business und auch ihre persönliche Leistungskurve sowie Motivation kippte im freien Flug nach unten
Zuletzt passierte noch etwas, mit dem Robin nicht gerechnet hätte: trotz ihrer Bemühungen und des massiven (Stunden)-Aufwands, den sie investierte, kam innerhalb von recht kurzer Zeit (ein paar wenige Monate) auch massive Kritik ihrer Vorgesetzten an ihr auf. Sie wehrte sich natürlich vehement gegen diese Kritik, und in ihrem Selbstbild tat sie tatsächlich alles in ihrer Macht Stehende, um ihrer Abteilung wieder Leistung wieder Leistung "abzuringen".
Ein weiterer, oft gesehener, Kollateral-Effekt in so einer Situation ist dann noch - glücklicherweise bei Robin so nicht passiert - dass auch das private Umfeld bzw. insbesondere der Partner mit Kritik ankommt, weil die gemeinsame Zeit durch den Aufwand, den der jeweilige in den Job steckt, zu kurz kommt.
Robin war also in einer Situation, in der sie sich fühlte, als müsse sie jeden Tag gegen alle kämpfen - dieses "Lone Wolf" Dasein halten nur die allerwenigsten Menschen über längere Zeiträume aus - gleichzeitig besteht der Ausweg aus solchen Situationen aus mehreren Gipfeln, die man in der ohnehin angeschlagenen Position noch zusätzlich erklimmen muss, einige davon möchte ich mit Zitaten einleiten, die mich schon eine ganze Weile lang begleiten:
"Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten" - ALBERT EINSTEIN
Wir alle machen Fehler - und zwar jede Menge davon. Laut einer Studie der Justus-Liebig-Universität in Gießen unter der Leitung des Organisationspsychologen Michael Frese macht der durchschnittliche Erwachsene zwei bis 5 Fehler pro Tag - gottseidank haben nur wenige davon schwere Konsequenzen. Nichtsdestotrotz ist trial-and-failure immer noch einer der wirksamsten Ansätze für persönliches Wachstum - allerdings nur dann, wenn wir mit diesem Fehler-machen bewusst umgehen, und auch reflektieren, welcher von unseren Fehlern uns nach vorne gebracht hat, und welcher uns wieder nach hinten geworfen hat.
Konsequenz ist eben NICHT, auch Holzwege bis zum Ende zu gehen - wenn wir etwas versuchen, und merken es funktioniert nicht, hilft in den allerwenigsten Fällen der "Kopf durch die Wand" Approach.
Der Gipfel, den es für Robin also hier zu erklimmen gab, war: Erkenntnis über die Dinge, die nicht funktionieren erlangen
"To improve is to change, to be perfect is to change often" WINSTON CHURCHILL
Viele Veränderungen, die wir vornehmen haben einen Grund, einen Trigger - auch in der Geschichte von Robin: etwas passiert, wir reagieren darauf mit einer Veränderung. Die Frage, die wir uns aber bei diesen Changes stellen müssen, ist: Reagiere ich, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, oder um die Situation wieder so an die Realität anzupassen, um wieder in einer guten Ausgangsposition zu sein. Anders gefragt: ist der ursprüngliche Zustand (das "Gewohnte") zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt etwas wünschenswertes?
Denn eines ist - insbesondere als Leader - ganz klar: Insbesondere in unserer schnelllebigen Welt sind wir faktisch jeden Tag wieder an einer neuen Ausgangsposition: mit neuen Variablen, veränderten Konstanten und wachsenden Herausforderungen.
Bei aller Konstanz, die wir Menschen bis zu einem gewissen Grad brauchen: wir müssen Veränderungen aktiv gestalten und begleiten - und vor allen Dingen bewusst damit umgehen. Wenn wir so weit sind, verlieren ständige Veränderungen ihre Bedrohung und werden zu notwendigen Begleitern, und manchmal sogar zu guten Freunden.
Der Gipfel für Robin war hier: eine Veränderung zur Veränderung machen, auch wenn das "Zurückrudern" oft unbeliebt ist. Meiner Erfahrung nach ist aber der Mut zur Lücke hier nicht nur angebracht, sondern wird meist vom Umfeld auch wertgeschätzt
"When you compete against everyone else, no one wants to help you. But when you compete against yourself, everyone wants to help you" - SIMON SINEK
Zuletzt - und ergänzend zum erwähnten "Mut zur Lücke" - kommt noch hinzu, dass wir viel mutiger damit werden müssen, nach Hilfe zu fragen.
Dazu noch eine kurze Geschichte aus meiner eigenen Vergangenheit: Im Laufe der Zeit habe ich meinen Positionen in unterschiedlichen Unternehmen - meist Konzerne - immer wieder mal neue Rollen übernommen. Manchmal nur temporär, manchmal als fließende Übernahme, manchmal aber auch mit Kopfsprung ins beinahe gefrorene Wasser. So etwas bedeutet jedes Mal: Raus aus der Komfortzone, oftmals rein in einen Bereich in dem man die notwendigen Kompetenzen noch nicht (vollständig) hat, und hoffen, dass alles gut gehen wird, und man diese nötigen Skills auf dem Weg schon lernen wird.
Mein größter Fehler dabei war es aber oftmals, nicht die genaue Erwartungshaltung meines Gegenübers abzuklopfen, und der Meinung zu sein, dass der neue Job ab der ersten Stunde in absoluter Perfektion zu passieren hat - und zu allem Überdruss noch zu glauben, dass mein Gegenüber vermutet, dass ich schon alle Kompetenzen für den neuen Job mitbringe.
Insbesondere aus letzterer Vermutung kommt dann eine gewisse Scheu, zu fragen, wenn man etwas nicht weiß. Diese Scheu ist leider aber ein garantierter Bumerang sowie führt in eine Abwärts-Spirale: Nicht zu fragen, und (auf gut österreichisch) dahinzuwurschteln braucht viel mehr eigene Ressourcen und Nerven, um an ein vergleichbares Ziel zu kommen - und oft passiert viel später dann ein gravierender Fehler, der auf mangelndes Basis-Wissen zurückzuführen ist.
Außerdem lebt man in ständiger Angst, dass das eigene Unwissen auffällt - was zu einem letzten Effekt führt: wenn man einen Job schon eine gewisse Zeit macht, fühlt es sich unangenehm und peinlich an, nach Basics zu fragen, und man erlernt diese letztlich entweder nie oder mit Blut, Schweiß und Tränen.
Die Erfahrung zeigt aber eben, dass man, wenn man Chefs, Kollegen oder Freunde um Hilfe bittet, meist eine helfende Hand angeboten bekommt - bei allem Bösen das auf der Welt passiert: Menschen wollen einander helfen.
Untersucht hat das neben vielen anderen auch der Anthropologe und Psychologie-Professor Felix Warneken in einigen Studien mit Kindern - es wurde also versucht herauszufinden, ob Hilfsbereitschaft bzw. Altruismus angeboren ist oder erlernt werden muss: die kurze Antwort ist:
Menschen sind grundsätzlich hilfsbereit.
Als hervorragende Lektüre empfehle ich dazu den Zeit Artikel "Wie gut ist der Mensch" von Wolfgang Uchatius.
Was ich damit sagen will - und um zum Abschluss auch nochmal auf Robin zurückzukommen: natürlich müssen wir als Leader manchmal auch allein vorpreschen und Dinge versuchen, natürlich müssen wir manchmal schnell und unabgestimmt mit unserem Umfeld auf neue Situationen reagieren.
Der Gipfel, den wir aber immer wieder erklimmen müssen, ist: Jeden Tag den Mut aufzubringen um nach Hilfe zu fragen.
Mein Versprechen ist: in den allermeisten Fällen wird das Gleiche passieren wie es schon der große Albus Dumbledore angekündigt hat:
"Help will always be awarded to those who ask for it" - ALBUS DUMBLEDORE